Gedanken zur Kreativität
Jede/r hat Ängste. Der eine fürchtet sich vor Monsterm unter dem Bett. Die nächste zittert vor dem entscheidenden Gespräch mit dem Chef/der Chefin. Krankheit, Dunkelheit, Fahrstühle, Spinnen..., der Zorn des Fußballgotts bzw. der Fußballgöttin.
Jeder? Ja! Ich auch!
Wie jeder Mensch habe ich eine gespaltene Persönlichkeit. Netter gesagt, habe ich jeden Tag verschiedenste Rollen auszufüllen. Und jede dieser Rollen hat eigene Ängste. Nicht alle Ängste kenne ich, viele sind hübsch verdrängt, andere bestreite ich und eine sehr lange Liste halte ich geheim. Ganz geheim!
Manche Ängste lassen sich nicht verstecken, ignorieren oder verneinen. Sie sind groß, laut, bedrohlich, düster und jeden Tag stehen sie vor mir auf und gegen nach mit ins Bett. Schlafen sie überhaupt?
Hier ist meine größte Angst, die sich auf den Persönlichkeitsbaustein von mir bezieht, der sich "Fotograf" nennt.
Ich habe eine scheiß Angst vor dem Verlust meiner Kreativität.
Manche Dinge kann man lernen. Die Bedienung einer Kamera zum Beispiel. Oder die Regeln der Bildkomposition, das Belichtungsdreieck... all das kann man nachlesen, sich erklären lassen oder einfach solange rumprobieren, bis es klappt.
Zum Fotografieren gehört aber etwas, das nicht lernbar ist: Kreativität. Sie ist wunderbar! Sie verwöhnt mich mit Glücksgefühlen. Neben ihr fühle ich mich stark, groß, selbstbewusst und mächtig. Manchmal auch sehr männlich.
Aber Kreativität ist eine blöde Diva! Sie singt nur, wenn man sie fürstlich bezahlt, d.h. sie zuvorkommend behandelt, sie nährt, ihr huldigt, ihr regelmäßig ausreichend Aufmerksamkeit schenkt, die restliche Welt ignoriert.... Und selbst dann kann es sein, dass sie einfach so das Interesse verliert und sich grußlos verabschiedet und nicht zurück kommen will.
Wenn das passiert, bricht es dem Künstler (also mir!) das Herz. Liebeskummer hoch zehn! Das Loch im Herzen, dass der Verlust der kreativen Kräfte reißt, blutet unstillbar. Der Schmerz treibt die Tränen in die Augen, lässt einen nicht schlafen, verdirbt den Appetit, mach mürrisch und verzweifelt und unerträglich für meine Mitmenschen.
Wie bei jedem Liebeskummer durchläuft der von der Kreativität verlassene verschiedene Phasen.
1. Schock
Stumm und taub steht man da. Kann es nicht fassen. Sie ist weg! Wie konnte das passieren?!
2. Wut
Die dämliche Kuh! Was glaubt sie eigentlich wer sie ist? Ohne mich ist sie gar nichts!
3. Zweifel
Vielleicht bin ich ja Schuld, dass sie weg ist. Hab ich mich nicht genug gekümmert? Hab ich sie für selbstverständlich gehalten.
4. Angst
Was ist, wenn ich für immer alleine bleibe? Wenn ich nie wieder die Nähe der Kreativität spüre? Wer bin ich dann? Gibt es mich dann überhaupt noch.
5. Mittelfinger
Die dumme Kuh hat mich gar nicht verdient! Wo die herkommt, gibt es noch viele andere. Bestimmt sind die anderen viel inspirierender, viel aufregender!
6. Suche
Wo verstecken die sich denn alle? Warum spricht mich keine an? Was muss ich denn tun, damit ich wieder Kreativität empfinden kann?
7. Veränderung
Ich muss was neues ausprobieren. Mich verändern. Mich neu erfinden!
Da ist noch eine Seite an mir, die ich bisher niemandem gezeigt habe. (Nicht mal mir selbst.) "Du hast ein falsches Bild von mir. Sowas wie nen echten Kujau.... Eigentlich bin ich ganz anders, ich komm nur viel zu selten dazu!" (Zitat: Udo L.)
8. Mut
Das ist aber ein echt großer Abstand. Da geht es ziemlich tief runter.... Hilft ja nichts! Da drüben ist meine neue Kreativität und ich weiß, sie steht auf Mut. Also los. Anlauf nehmen, tief atmen, loslaufen, mit aller Kraft abspringen... fliegen!!!!
9. Euphorie
Landen!!!! Mein Gott! Wer hätte das gedacht? Ich bin tatsächlich gesprungen, bin geflogen und jetzt bin ich hier! Zusammen mit ihr! Der wundervollsten Kreativität der Welt.
10. Angst
Was, wenn ich auch sie wieder verliere?
"And so it goes, and so it goes. And so will you soon, I suppose." (Billy Joel)
Meine Lebenserfahrung sagt mir: "Alles wird gut. Phase 9 kommt ganz bestimmt." Aber leider geht Phase 10 nie ganz weg. Vielleicht ist das aber ganz in Ordnung.... Denn wenn man sich das alles mit etwas Abstand anschaut, stellt man fest, dass gerade in Phase 10 unglaublich viel Kreativität wächst und gedeiht.
Vielleicht verlässt einen die Kreativität ja gar nicht. Vielleicht ist das alles ein neckisches Spiel, was den Reiz des Neuen in einer lebenslangen Partnerschaft wachhält. "Liebeskummer lohnt sich doch, my Darling!"
(Siw Malmkvist)
oder: "I need you, like the rosen want the rain, like the poet needs the pain." (Bon Jovi)