Kein Witz. Lasst eure Kamera zuhause!

Es gibt einen abgegriffenen Fotografenwitz, der mir in verschieden Varianten immer wieder vor die Lesebrille kommt. Er geht in etwa so: Geht ein verliebtes Pärchen am Strand spazieren. Beide betrachten den Sonnenuntergang. Sagt sie: „Schau mal, Schatz! Ist der Sonnenuntergang nicht wunderschön?" Antwortet er: „Ja, meine Liebste. F8 bei einer 250stel Sekunde.“ (Der Witz variiert natürlich hinsichtlich der gedachten ISO Zahl.) Klischee hin, Kitsch her. An diesem Witz ist einiges Wahres dran. Wir Fotografen neigen dazu, die Welt um uns anders wahrzunehmen als unsere FreundInnen, PartnerInnen, Familienmitglieder. Wir sehen andere Dinge, andere Augenblicke. Wir lassen uns von unscheinbaren Dingen ablenken, werden aus Gesprächen gerissen, weil uns ein Motiv am Wegesrand ins Auge springt und uns zuflüstert „knips mich“. Wir bleiben unvermittelt stehen, ignorieren unsere GesprächspartnerInnen und zücken die Kamera. Nun könnte man sagen, ohne dieses FotografInnen-Gen oder das besonders trainierte Auge würden wir nicht die besonderen Fotos machen, auf die wir stolz sind und die andere bestaunen. So ist es schließlich! Für die Menschen, mit denen wir unterwegs sind, ist dieses Verhalten aber ziemlich anstrengend. Es fehlt immer das letzte Bisschen Aufmerksamkeit, Zuwendung. Allzu oft, schweifen die Blicke in die Ferne, wird im Kopf das Licht gemessen und über die Drittelregel o.ä. nachgedacht. Die mürrischen Blicke und strafenden Worte werden billigend in Kauf genommen. Sie sind als Teil der Produktionskosten eingepreist. Manchmal zur Schaffung eines Meisterwerks nötig aber nicht gerade nett oder sozial kompatibel… Und nicht immer schafft man Meisterwerke! FotografInnen nicht immer FotografInnen. Sie sind auch PartnerInnen, FreundInnen und eben auch „Schatz/Liebste“ bzw. „Liebster“. Nun ist es nicht leicht, den passionierten Knipser zuhause zu lassen oder gar einzusperren. Die Welt ist voller schöner und aufregender Motive. Was, wenn ich das tollste Bild aller Zeiten verpasse nur weil ich mich mit Haut und Haar meinem/r Gegenüber widme? Für den wirklich leidenschaftlichen Fotografen ist das eine furchtbare Vorstellung. Der unerhörte Kreativimpuls, die nicht verfolgte Idee – all das tut richtig weh. Führt zu wirklich messbarem Missmut. Am guten Willen hapert es meist nicht. Der Geist ist willig doch der Finger am Auslöser ist schwach. Wie bei jedem guten Vorsatz, scheitert man blöderweise dauernd bei der Einhaltung des Gelöbnisses: „Ich will meiner/m PartnerIn meine volle Aufmerksamkeit schenken.“ Bleibt nur eins: „cold turkey“! Nicht kalter Truthahn, sondern kalter Entzug. Die Kamera bleibt beim Spaziergang mit dem/der Liebsten zuhause. Hilft ja nichts! Sonst bleibt irgendwann der/ die geliebte Begleitung daheim. Aber was ist mit meiner Passion, dem Fotografieren? Ich liebe es doch so sehr! Die Dosis macht die Medizin zum Gift. Also, immer hübsch homöopathisch! Wir wollen uns ja nicht mit der Situation konfrontiert sehen, dass in unserem Kalender Treffen der „Anonymen FotografInnen“ stehen, statt Ausflüge ins Grüne mit der/dem PartnerIn. Was also tun? Machen wir uns einen Plan! Fünf Punkte Pläne gehen ja immer.
  1. Vor Beginn des Spaziergangs/Ausflugs wird gefragt, ob es ok ist, dass die Kamera mitkommt. Wenn der Wunsch geäußert wird, dass sie zuhause bleibt, dann bleibt sie es auch. Es kann auch mit einem verabredeten Quotensystem agiert werden. Beispiel: Jeder zweite Ausflug findet ohne bzw. mit Kamera statt.
  2. Häufiger auch mal alleine Dinge unternehmen. Gezielt Fotoprojekte verfolgen, sich voll und ganz der geliebten Passion widmen. Zum einen ist der/die PartnerIn mal ganz froh, wenn dieser Knips-Kalli auch mal aus dem Haus ist und zum anderen kommt er/sie ja auch immer so gut gelaunt zurück. Da haben dann wieder beide was von.
  3. Tausche hin und wieder Fotografie gegen Lomographie. Das bedeutet, knipsen ja. Aber ohne den störenden Prozess. Schnell aus der Hüfte (Lomo-Regel Nummer: 4,6&7), ohne zu zielen, ohne anzuhalten, ohne die Situation zu unterbrechen (Regel: 3). Man muss ja nicht immer vorher wissen, was auf einem Bild drauf ist – und nachher auch nicht. (Regeln: 8&9). Auch das kann beglücken und kreativ erfüllend sein.
  4. Mache Fotos in deinem Kopf. Halte es wie Frederick die Maus. Sammle Farben und Sonnenstrahlen für den Winter. Teile die gespeicherten Kopfbilder in grauen Momenten, wenn die Stimmung getrübt ist. „Weißt du noch, mein Schatz. Damals am Strand? Das Licht war so wundervoll. Ganz golden!“
  5. Mache diese Kopffotos gemeinsam mit deinem/deiner Liebsten. Schaffe eine partnerschaftliche Bildergallerie. Geht ganz einfach: „Schau mal Schatz, der wunderschöne Sonnenuntergang!“ „Ja, Liebste/r. Wunderbar. Lass uns diesen Moment einfach genießen. An diesen Anblick werden WIR uns noch in Jahren erinnern.“