Gedanken über einen Flohmarktfund

Es klickt. Eigentlich klackt es. Das Geräusch ist tiefer als ein "i" sein kann. Gefolgt wird dieses kurze harte Geräusch vom surren eines kleinen Elektromotors aus den 80er Jahren. Ich spüre die sanfte Vibration in meinen Händen. Zügig aber trotzdem entspannt schiebt sich das Objekt der Begierde aus der Kamera. Erst ein breiter weißer Streifen, dann folgt eine dunkle Fläche, eingerahmt von einem schmalen Rand. Nostalgie und Freude auf die unmittelbare Zukunft streiten in meinem Herzen miteinander um die Vorherschaft der Gefühle. Warum eigentlich Nostalgie? Vor meinem 38. Lebensjahr hatte ich nie eine Polaroidkamera. In meiner Familie gab es immer die Ansage: "Viel zu teuer. Das ist doch alles Tüddelkram." Ich habe also keine wunderbar vergilbten Kindheitserinnerungen, die sich auf Sofortbildern in einem Pappkarton im Keller meiner Eltern seit Jahrzehnten ausruhen. Ich besitze kein Obenohnefoto meiner ersten Freundin, welches wir heimlich mit der Polaroidkamera ihrer Eltern geknipst haben, weil man den Film nicht ins Labor geben musste, sondern es ganz diskret in den heimischen 4 Jugendzimmerwänden entstehen sehen konnte. Meine Vergangenheit ist Sofortbildfrei. Dennoch scheine ich die Optik, Habtik, den Mythos von Dr. Edwin Lands Erfindung tief in meinem Bewusstsein gespeichert zu haben. Merkwürdig. Erklären kann ich es mir nicht. Vielleicht liegt es an soetwas wie dem kollektiven Gedächnis einer Generation. Ein Mysterium, dass ich nicht lösen kann. Zumindest jetzt nicht. Denn in diesem Augenblick übernimmt die Vorfreude. Erwartungsvoll blicke ich auf das Bildquadrat in meinen Händen. Wie wird das Bild aussehen? Welche Szene habe ich eingefangen, als ich den Auslöser des Flohmarktfundes drückte, um zu sehen, ob die Polaroid 600 Knipse noch Leben in sich hat. Der Film war noch in der Kamera. Wie lange schon? Zehn Jahre, zwanzig, dreißig? Warum wurde der Film nicht zuende geknipst? Ist der Vorbesitzer verstorben, bevor sie ihr letztes Foto machen konnte? Wurde eine neue Kamera angeschafft und die alte verschwand in einer Ecke des Dachbodens? Welche Motive waren auf den Bildern, die bereits aus der Filmkassette gekommen sind, bevor sie halbvoll vergessen wurde? Urlaubserinnerungen oder vielleicht ein Bild des Weihnachtsbaums im heimischen Wohnzimmer? Gab es damals eigentlich auch schon Selfies? Wie lange dauert die Entwicklung eines alten Polaroidfilms eigentlich? Die weißgerahmte Fläche bleibt dunkel. Kein Bild entsteht. Der Film scheint tot, nach all den Jahren. Dennoch bin ich der Flohmarktkamera dankbar für all die Bilder, die sie mir bereits jetzt geschenkt hat.